Auf der Zielgeraden
Ziele umsetzen OKR, SMART & Co. klingen auf dem Papier ideal. Doch wie klappt es im Alltag? Diese vier Praxisbeispiele zeigen, wie Unternehmen Klarheit schaffen und Erfolge messbar machen. Lass dich inspirieren!
Methode 1: Visioning
Moritz von Soden hat einen guten Grund, sich Gedanken über Firmenziele zu machen: „Ich bin darauf angewiesen, über Ziele zu führen, weil ich von der Umsetzung nichts verstehe“, sagt der Inhaber von Bornemann Gewindetechnik in Delligsen bei Hildesheim. Der 48-Jährige führt die Geschäfte in dritter Generation. Sein Schwiegervater war noch selbst Schrauber – er kannte das Handwerk von der Pike auf und legte notfalls selbst Hand an.
Das änderte sich, als von Soden und seine Frau Kathrin 2008 in das Unternehmen kamen und sechs Jahre später die Geschäftsführung übernahmen. Die Akademiker brachten eine völlig andere Führungskultur mit: „Wir sind auf eine zweite Führungsebene angewiesen, die unsere Ziele verstanden hat und im Arbeitsalltag umsetzen kann“, erklärt von Soden. Sein Idealzustand: „Die Unternehmensspitze gibt das Ziel vor, aber nicht den Weg dorthin.“
Bornemann Gewindetechnik ist ein klassischer deutscher Mittelständler: Die Firma mit 53 Mitarbeitenden hat eine Nische besetzt, die Einzelanfertigung spezieller Gewindespindeln für die Industrie. Mit dem Generationswechsel begann der Betrieb aus der niedersächsischen Provinz in die ganze Welt zu liefern: Heute kommt mehr als die Hälfte des Umsatzes aus dem Export. Um das zu erreichen, arbeitete die Geschäftsführung schon früh mit Stärken-Schwächen-Analysen, Jahreszielen und Maßnahmenkatalogen.

Doch eines kam dabei zu kurz: „Ich habe mich immer gefragt: Wie kann ich diese Ziele ins Unternehmen tragen? Wie kann ich mein Team dafür begeistern?“, erinnert sich der Inhaber. „Mit einer Stärken-Schwächen-Matrix gelingt mir das nicht.“ Das fehlende Puzzleteil fand von Soden, als er zum ersten Mal von der Methode des Visioning hörte. Dabei wird eine ganz konkrete Vision der Zukunft entworfen und aufgeschrieben: Wie sieht das Unternehmen in fünf Jahren aus? Was haben wir dann erreicht? Worauf sind wir im Rückblick stolz?
Visioning setzt auf die inspirierende Kraft der Vorstellung. So formulierte US-Präsident John F. Kennedy 1961 die Vision, bis zum Ende des Jahrzehnts werde ein Mensch auf dem Mond landen und sicher zur Erde zurückkehren. Dieses konkret ausgemalte Zukunftsbild sorgte mit dafür, dass der Plan Realität wurde. Es hätte wohl kaum den gleichen Effekt gehabt, wenn er gesagt hätte: „Wir wollen unser Weltraumprogramm stärken.“
Entwickelt wurde das Konzept des Visioning von dem Sozialpsychologen Ronald O. Lippitt und dem Zukunftsforscher Edward Lindaman, der in den 1960er-Jahren an der Planung des Apollo-Raumfahrtprogramms beteiligt war, das 1969 schließlich zur erfolgreichen Mondlandung der Apollo-11-Mission führte.
„Der große Vorteil dieser Methode ist: Sie erzeugt bei jedem Menschen Bilder, damit hole ich die Leute ganz anders ab“, sagt von Soden. Unternehmerinnen und Unternehmer können dieses Prinzip für sich nutzen: „In patriarchalisch geführten Unternehmen ist die Gründerpersönlichkeit so etwas wie eine fleischgewordene Vision. In einer managementorientierten Führung funktioniert das aber nicht.“ Hier braucht es ein Leitbild, hinter dem sich alle versammeln – eine gemeinsame Vorstellung von der Zukunft, an deren Umsetzung gearbeitet wird.
Team in die Zielfindung einbinden

2023 besuchte von Soden ein Visioning-Seminar von impulse und musste lernen: Am wirkungsvollsten ist die Vision, wenn sie vom Team mit erarbeitet wird. „Dafür musste ich mit meiner relativ dominanten Persönlichkeit erst mal lernen loszulassen.“ Im Januar 2024 nahm sich die gesamte Belegschaft die Zeit, an der Unternehmensvision zu feilen. Die Geschäftsführung steuerte lediglich einen ersten Entwurf bei. „Der wurde dann zerpflückt.“
Manches wurde in die Vision reingenommen, andere Dinge sind rausgeflogen. So kam die Mitarbeiterbeteiligung als neues Firmenziel hinzu. Verabschieden musste sich von Soden von seinem Plan, künftig mehr Eigenentwicklungen ins Sortiment aufzunehmen. „Das hätte ich gerne bis 2030 angeschoben, aber das Team war dagegen.“ Die Befürchtung: Noch mehr neue Projekte würden nur Ressourcen binden, die woanders fehlen.
Auch Mitarbeiter Fabian Eggers hat an der Vision mitgeschrieben. Der Maschinenbauer kümmert sich bei Bornemann Gewindetechnik um das Fehlermanagement. „Erst mal waren alle skeptisch, als sie eine Vision schreiben sollten“, berichtet er. Die Aufgabe lautete: Stellt euch vor, es ist 2030, wir sind auf einer Firmenfeier und blicken auf das Jahr zurück – wo stehen wir? Vielen sei das zunächst schwergefallen. Doch aus den Gruppendiskussionen hätten sich neue Ideen entwickelt. „Letztlich war das alles sehr konkret und bodenständig.“
Wer mit Zielen führen will, sollte die Mitarbeitenden in die Zielfindung einbinden. Führungscoach Tom Senninger sagt: „Eine Vision muss im ganzen Team entstehen, sonst fühlt sich ein Teil nicht abgeholt.“ Wer nicht daran mitgewirkt hat, reagiere möglicherweise mit Ablehnung: „Da wird mir gesagt, wo ich hinsoll.“ Dabei sei die Motivation im Team entscheidend für den Erfolg. „Studien zeigen, dass vereinbarte Ziele eine doppelt so hohe Erfolgswahrscheinlichkeit haben wie Ziele, die von oben diktiert werden.“

Mittlerweile hängt die „Vision 2030“ im Eingangsbereich der Firma Bornemann Gewindetechnik, gedruckt auf drei große Plexiglastafeln. „Jeder soll sehen, dass wir uns zu diesen Zielen bekennen“, sagt von Soden. Ein sichtbares Zeichen an Besucher, aber auch an die Angestellten: „Für alle, die an der Entstehung dieser Vision beteiligt waren, kann das sehr sinnvoll sein“, sagt der Führungsexperte Senninger. „Sie erkennen ‚ihr‘ gemeinsames Zukunftsbild wieder und fühlen sich vielleicht inspiriert.“
Doch eine Vision ist nur ein frommer Wunsch, wenn nicht an der Umsetzung gearbeitet wird. Von Soden plant daher, alle Passagen, die bereits umgesetzt wurden, grün zu unterlegen. „Solche Visualisierungen verhindern Missverständnisse, weil alle das Gleiche vor Augen haben“, sagt Senninger. Aus der Vision ist auch ein gedrucktes Unternehmenshandbuch entstanden, das sich an Kunden, Banken oder Medienschaffende richtet.
Um mit Zielen zu führen, ist es nötig, diese auch im Alltag zu verankern. „Jeder Satz der Vision wird mit konkreten Maßnahmen hinterlegt“, kündigt von Soden deshalb an. Welche Software soll angeschafft werden? Welches Modell eignet sich für die Mitarbeiterbeteiligung? In der Produktionshalle der Firma hängt deshalb noch eine Version der Vision auf Papier, auf der der Stand der Umsetzung vermerkt ist. So kann das Team sehen, was getan werden muss – und was bereits erledigt wurde.